TAIPEILOVE* – Die Geschichte hinter dem international ausgezeichneten Dokumentarfilm über gleichgeschlechtliche Liebe in Taiwan

Von Lucie Liu

Taiwan hat am 24.Mai 2019 die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert. Es ist damit das erste Land in Asien, das diesen Schritt in Richtung universeller Menschenrechte gegangen ist. Über die Entwicklungen vor Ort, die Situation von schwulen und lesbischen Menschen in Taiwan und die gesellschaftlichen, kulturellen und traditionellen Hindernisse, Vorurteile und Erwartungen habe ich einen Dokumentarfilm gedreht. TAIPEILOVE* ist der erste und einzige Film weltweit, der sich diesem Thema widmet. Im Folgenden werde ich auf den Entstehungsprozess, die rechtlichen Hintergründe der Legalisierung und die derzeitige Lage eingehen. Mehr Informationen zu dem Film finden Sie auf der Facebook– und Instagramseite von TAIPEILOVE*.

Entstehung TAIPEILOVE*

Im Oktober 2016 habe ich zum ersten Mal die Pride Parade in Taiwan besucht, sie ist die größte in ganz Asien. Während dieser bin ich auf einen jungen Koreaner und einen jungen Japaner getroffen. Beide haben mir eröffnet, dass sie jedes Jahr die Pride besuchen, da es sich dabei um die einzigen Tage des Jahres handelt, in denen sie wirklich sie selbst sein können. Beide kommen aus Ländern in denen die gleichgeschlechtliche Ehe nicht legalisiert ist. Deren Aussagen und die darauffolgende Recherche haben mir die Vorreiterrolle Taiwans in Bezug auf Lesben- und Schwulenrechte vor Augen geführt und mich dazu inspiriert einen Dokumentarfilm zu drehen, um Menschen in Asien und insbesondere Europa nahezulegen, welche Rolle Taiwan einnimmt und dass es dafür Anerkennung verdient.

Protagonist:innen

Sarah, Kevin und David bilden den Kern des Dokumentarfilmes. Aus ihrer Perspektive wird die Geschichte erzählt. Mit ihr werden Stimmen aus Politik und Gesellschaft verknüpft. Die Suche nach Protagonist:innen hat sich als komplex herausgestellt. Mit über vierzig Personen habe ich mich in Parks, Cafés und Märkten getroffen, um mit ihnen über ihre Homosexualität und ihre damit verbundene Geschichte zu sprechen. Dabei bin ich auf sehr traurige Einzelschicksale getroffen: Ein junger Mann wurde von seiner Familie nach seinem Coming-Out aus seinem Zuhause verbannt gefolgt von völligem Kontaktabbruch durch die Eltern. Eine andere junge Frau ist mit einem Mann verheiratet, obwohl sie lesbisch ist – auf Wunsch der Familie.

Filmdreh – Abendessen mit Sarah

So traf ich auch auf Sarah, Kevin und David. Nach dem Kennenlernen mit Sarah war schnell klar, dass sie und ihre Geschichte den Film tragen werden. Die 26-jährige Krankenschwester geht offen mit ihrer Sexualität um, ist dabei sehr stur und liebenswert. In Reaktion auf ihr Coming-Out schlug ihre Mutter sie und bestellte zum nächsten Familientreffen zwei Männer, um einen Exorzismus an Sarah durchzuführen. Sarahs zwei Tanten erzählen in TAIPEILOVE* über die Familiensituation und ihren eigenen, liberalen Umgang mit Sarahs Sexualität. In einem überraschenden Telefonat während der Dreharbeiten kommt auch Sarahs Mutter zu Wort.

Im generationellen und geschlechtlichen Gegenüber stehen Kevin und David, beide sind 45 Jahre alt und seit 13 Jahren ein Paar. Ihre Geschichte liest sich anders als die von Sarah. Während Kevin sehr schweigsam mit seiner Homosexualität umging und später ein ruhiges, allerdings sehr klares Coming-Out hatte, indem er einfach seinen Partner mit nach Hause brachte, wurde David von seinen Lehrern verprügelt und gemobbt. Er äußerst sich nach wie vor nur sehr vorsichtig zu seiner Sexualität.

An den Reaktionen der Familien wird deutlich, wie unterschiedlich der Umgang in der Gesellschaft mit Homosexualität in Taiwan ist. Im Rahmen meiner Interviews habe ich festgestellt, dass sich diese Problematik insbesondere auf Nichtwissen und damit verbundene Vorurteile stützt. Kevin und David berichten, dass deren sexuelle Aufklärung wenig bis kaum vorhanden war. Dies zeigt sich auch deutlich darin, welche Bevölkerungsgruppen insbesondere LGBT Rechte ablehnen.

„Über 80%-90% der jüngeren Generation unterstützt LGBT Rechte, wohingegen sich unter den 50 bis 60 Jährigen 60% dagegen aussprechen. Allerdings findet sich diese Problematik nicht nur in generationeller Unterscheidung. Auch der städtische und ländliche Raum unterscheiden sich stark. Insbesondere im konservativ geprägten Süden und auf dem Land sprechen sich viele Menschen gegen die gleichgeschlechtliche Ehe aus.“

Mit dem 2004 verabschiedeten Gender Equity Education Act (性別平等敎育法) änderte sich diese Situation. Das Bildungsministerium sieht neben Vorgaben für Schulen, deren Curriculum und den Umgang mit sexueller Belästigung auch vor, dass Schüler:innen Sexualkunde erhalten sollen, die Homosexualität inkludiert. Dieses verabschiedete Gesetz führte auch dazu, dass Schüler:innen über deutlich mehr Wissen zu dem Thema verfügen als die Generation vor ihnen. 

„Ich konnte während meiner Gymnasialzeit nicht über Homosexualität sprechen. Aber ich merke, dass Menschen, die jünger sind als ich, alle wissen, was Homosexualität ist. Das überrascht mich wirklich.

Die persönlichen und sehr intimen Interviews mit Sarah, Kevin und David werden von Expert:inneninterviews gerahmt. Dazu zählen Victoria Hsu (Anwältin und Mitbegründerin von TAPCPR), Jennifer Lu (Lesbenrechtsaktivistin), Yu Mei-nu (MdP, Fokus auf LGBT- und Frauenrechte), Wayne Lin (ehemaliger Vorsitzender der Tongzhi Hotline) und Chi Chia-wei (Taiwans ältester Schwulenrechtsaktivist). Die Expert:innen schaffen Einordnung und geben rechtlichen und geschichtlichen Kontext.

TAIPEILOVE* gibt damit eine ausführliche Einführung in die Lebensrealitäten schwuler und lesbischer Taiwaner:innen, zeigt, dass sich deren Kampf für Anerkennung in Vielem mit dem in anderen Ländern überschneidet und unterstreicht Taiwans Vorreiterrolle im Kampf für Menschenrechte.

Geschichtlicher Hintergrund

Taiwan ist bereits sehr progressiv im gesamtasiatischen Kontext was LGBT-Rechte betrifft. Gleichgeschlechtlicher Sex ist legal, Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung in der Schule und am Arbeitsplatz sind verboten und es ist möglich sein legales Geschlecht zu ändern. Dabei waren die Jahre 2017 bis 2019 ausschlaggebend für die rechtliche Lage gleichgeschlechtlicher Paare in Taiwan. Der Legalisierung und Implementierung der gleichgeschlechtlichen Ehe am 24.Mai 2019 gingen zwei zentrale Ereignisse voraus.

Das Verfassungsgericht veröffentlichte am 24.März 2017 eine Interpretation der Verfassung, in der festgelegt wurde, dass eine Form der gleichgeschlechtlichen Ehe innerhalb von zwei Jahren legalisiert werden müsse. Passierte das nicht, würde sie automatisch im Gesetz verankert und homosexuelle Paare hätten genau die gleichen Rechte wie heterosexuelle Paare.

Gaypride Taipei

Im Rahmen dieser zwei Jahre passierten kaum nennenswerte öffentliche Bekundung, der Legislativ-Yuan wurde wenige Monate vor Ablauf der Frist tätig, auch in Reaktion auf ein taiwanweites Referendum. Dieses fand fünf Monate vor Ablauf der Frist fand im November 2019 zeitgleich zu landesweiten Wahlen statt. Die Bevölkerung sprach sich dabei gegen die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe aus. Bei einer Wahlbeteiligung von über 10 Millionen stimmten sieben Millionen Wählende gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. Im Folgenden wurde die gleichgeschlechtliche Ehe mit Hilfe eines separaten Gesetztes legalisiert und nicht, wie in der Entscheidung am 24.März 2017 festgelegt in einer Verfassungsänderung.

Die aktuelle Situation gleichgeschlechtlicher Paare in Taiwan ist dementsprechend gut, allerdings nicht optimal. Zum einen haben sie die Möglichkeit zu heiraten, was im gesamtasiatischen Raum einzigartig ist, allerdings gibt es Einschränkungen in der Anerkennung. Falls ein:e Taiwaner:in eine:n Partner:in aus dem Ausland heiraten möchte, so muss die gleichgeschlechtliche Ehe im Herkunftsland derer legalisiert sein. Gleichgeschlechtliche Paare aus dem Ausland können nicht in Taiwan heiraten, wenn nicht in beiden Herkunftsländern, die gleichgeschlechtliche Ehe legalisiert ist. TAPCPR (Taiwan Alliance to Promote Civil Partnership Rights), eine Organisation, die Teile der LGBT Community rechtlich berät, arbeitet derzeit an eine Verbesserung der Situation für gleichgeschlechtliche transnationale Ehen. Darüber hinaus ist das Adoptionsrecht noch nicht vollständig dem Standard in heterosexuellen Ehen angepasst. Gleichgeschlechtliche Paare können nur dann Kinder adoptieren, wenn ein Teil des Paares ein leiblicher Elternteil des Kindes ist. Taiwan verfügt derzeit über keine klare Regelung bezüglich Leihmutterschaft innerhalb des Landes. Somit sind diese Themen noch offen und der Weg zur völlig gleichberechtigten gleichgeschlechtlichen Ehe geebnet.

Rezeption

Der Dokumentarfilm feierte am 27.Juni 2019 in Berlin im delphi lux Kino Premiere. Ehemaliges Bundestagsmitglied und zentraler Wegbereiter der gleichgeschlechtlichen Ehe in Deutschland Volker Beck sowie Professor Jhy-Wei Shieh, Repräsentant von Taiwan in Deutschland gaben aus ihrer jeweiligen Perspektive Grußworte. Weiter wurde der Film in Taipeh, Kaohsiung, London, San Diego, Yangon, Genf, Freiburg, Tübingen und Seoul gezeigt. Dort gewann er einen Preis für den besten Dokumentarfilm. Für 2020 sind Screenings in London, Wien und Berlin geplant. TAIPEILOVE* und seine Entstehungsgeschichte wurden in über zwanzig Medien rezipiert, in Deutschland dabei unter anderem von Süddeutscher Zeitung, Tagesspiegel, ZEIT CAMPUS, RBB, der Freitag und Tagesspiegel. All diese Artikel lassen sich in der Onlinepressemappe von TAIPEILOVE* finden.

[veröffentlicht in der Publikation „Taiwan in Bewegung – Band 4: Deutsch-taiwanische Kulturpolitik und Politische Kultur“, 2021 mit weiteren Fußnoten und Quellenangaben]